2.07.2009

Schönheit und Mitleid

Ein Gespräch mit Sibylle Luithlen für TITEL.de

Die Hure der öffentlichen Meinung

http://www.net-tribune.de/article/050209-75.php

Die Hure der öffentlichen Meinung


Frankfurt - Fassbinder, Vesper, Nico - der Filmemacher, der Schriftsteller und die Sängerin haben die kulturelle und politische Szene in Deutschland mitgeprägt und waren mit ihren radikalen künstlerischen Lebensentwürfen Projektionsflächen für eine verunsicherte Gesellschaft. In unabhängig voneinander lesbaren, aber auch als Ganzes überzeugenden Texten nähert sich der Franzose Alban Lefranc den Ausnahmekünstlern.

Rainer Werner Fassbinder zeigt der 1975 geborene Autor als Getriebenen, als einen von Drogenmissbrauch gezeichneten, am Rande des Wahnsinns taumelnden Künstler, der im Angesicht des Todes seine letzten kreativen Ressourcen mobilisiert. Zerrissen zwischen der Sucht nach Anerkennung und dem Verlangen zu schockieren, hetzt der 1945 geborene Fassbinder, der in nur 14 Jahren 44 Filme drehte, durch die letzten Stunden seines Lebens. Ein Mythos war der bisexuelle Filmemacher schon zu Lebzeiten, sein früher Tod verstärkte die Legendenbildung um den widersprüchlichen Künstler. Fassbinders selbstzerstörerisches Künstlerdasein beschreibt Lefranc radikal, sein Privatleben stellt er dar als einen ambivalenten Balanceakt zwischen Nähe und Distanz.

Im zweiten Text geht es um den Schriftsteller Bernward Vesper. Auch er ist bei Lefranc ein Zerrissener. 1938 geboren als Sohn des Nazi-Dichters Will Vesper, machten ihn zunächst vor allem seine Nähe zur RAF - Vesper war mit der Terroristin Gudrun Ensslin liiert - und seine politischen Stellungnahmen in der Szene bekannt, sein psychedelisches Romanfragment «Die Reise» wird erst sechs Jahre nach seinem Freitod veröffentlicht. Vespers Scheitern ist bei Lefranc Konsequenz einer von der Herkunft überschatteten Identitätssuche, der immer wieder misslingende Versuch, den widersprüchlichen Gefühlen literarisch Ausdruck zu verleihen, Resultat der Hassliebe zum despotischen Vater.

Die 1938 als Christa Päffgen geborene Nico ist Hauptfigur des dritten Kurzromans. Sie war Model, Sängerin und Muse, mit Andy Warhol drehte sie Filme, die Band Velvet Underground verstärkte sie als Sängerin, zahlreiche Liebschaften mit Musik- und Kunst-Ikonen werden ihr nachgesagt.

Lefranc zeichnet Nicos Lebensweg nach, indem er immer wieder die Fakten in Frage stellt. Denn Nico war selbst in Zeiten ihres größten Erfolges nicht mehr als eine Kunstfigur, die hinter dem verschwand, was andere in ihr sahen.

Sprachlich intensiv, aber inhaltlich fragmentarisch nähert sich Lefranc seinen Hauptfiguren, dabei durchbricht er die Subjektivität immer wieder mit Ausschnitten aus RAF-Kundgebungen oder zeitgenössischen theoretischen Texten - und ortet so die drei Lebensentwürfe in ihrem gesellschaftlich-politischen Kontext.

(Anke Breitmaier)