11.13.2008

Angriffe im Deutschlandfunk

Rezension und Interview mit Ralph Gerstenberg.

http://podcast-mp3.dradio.de/podcast/2008/11/13/dlf_20081113_1610_bdc8f72e.mp3

Der erste Teil der Sendung befasst sich mit Klage von Rainald Goetz.

11.10.2008

ANGRIFFE auf WDR3

eine Rezension von Werner Köhne:
WDR3 Passagen
10.11.08

http://gffstream-4.vo.llnwd.net/c1/radio/buchrezensionen/wdr3_buchrezension_20081110_1500.mp3

Sendemanuskript:
Alban Lefranc, Jahrgang 1975, lebt in der Normandie und ist Begründer und Chefredakteur der deutsch-französischen Literaturzeitschrift La mer gelée. Zugleich hat er sich auch als Übersetzer der Werke von Peter Weiss hervorgetan. In drei Kurzromanen entwirft er die Portraits dreier deutscher Künstler: von Rainer Werner Fassbinder, dem Schriftsteller Bernward Vesper und der Sängerin Nico. Alle drei Ikonen der neunzehnhundertsechziger und -siebziger Jahre in Deutschland. Aus dokumentarischem, biografischen und fiktiven Material setzt sich seine literarische Rekonstruktion ihrer Lebensläufe zusammen, die jetzt unter dem Titel „Angriffe. Fassbinder, Vesper, Nico“ im Münchener Blumenbar Verlag erschienen sind.
Werner Köhne hat Lefrancs literarische Bearbeitung eines deutschen Komplexes gelesen.

Die Reduktion eines fühlenden Körpers auf ein Gesicht, das zu einer Marke wird: das war das Schicksal von Nico, die mit bürgerlichen Namen Christa Päffgen hieß. Als Kriegskind ohne Vater aufwachsend, wird sie von Heinz Östergaard in den Fünfzigern zur Ikone aufgebaut. Als kühle Heroine entspricht sie sowohl dem Nostalgiehang der deutschen Kriegsheimkehrer als auch dem Image, das man sich - mit leichtem Schauder - international von einer deutschen Rassefrau macht. Paris Mailand ;New York: das Karussell der Eitelkeiten wird für sie in Gang gesetzt. Es beschleunigt sich, als Nico in Manhattan auf Andy Warhol und die Gruppe Velvet Underground trifft. Lou Reed nimmt sie in die Band auf, schmeißt sie aber bald schon wieder raus. Drogen kommen hinzu. Der Marktwert sinkt. Nicos Kapital, ihr Gesicht, verblasst.
Lefranc beschreibt den Prozess, als wolle er einen Satz von Gottfried Benn bestätigen: die Geschichte eigne sich nur als Material für herausragende Individuen. Der Preis für diese Zurichtung ist allerdings hoch: Vereinsamung und Selbstzerstörung.

Sein Geschick, eine Legende den voyeuristischen Blicken der Öffentlichkeit zu entreißen, sie als sprechenden Körper in ihre Zeit zurückzuversetzen beweist Alban Lefranc auch im Portrait Fassbinders.
In den sechziger und siebziger Jahre wurde Fassbinder wegen seiner Arbeitswut und sexuellen Suchbewegungen als monströses Opfertier gehandelt, ein Künstler, der die ungute Mischung aus Genialität und Selbstzerstörung verkörperte wie kein zweiter. Lefranc steigt auch in diesen Leib hinein und horcht auf dessen innere Stimme:
„Mein Körper ist nichts als ein Treibriemen zwischen erfühlten Körpern, aus nächster Nähe erfühlten Körpern – und der Film, in dem gekreuzte Körper, penetrierte Körper dargestellt, in Einstellungen und Schnitten neu formuliert werden, an Hand der einzigen Philosophie – Licht und Maske.“

Beide, Fassbinder und Nico, sind Ausgeburten des Nachkriegsdeutschlands und es ist beeindruckend, wie der Erzähler ihre Tragödie in das damalige Zeitgeschehen einrückt. Hat er sich das alles erlesen ? Die aufgedeckten Hintergründe sind sicherlich Frucht genauer Recherche. Aber da ist weitaus mehr als die übliche Ikonographie zu bestaunen. Lefranc löst literarisch ein, was sich bei Fassbinder zwischen Leben und Werk vollzog: Er ertrug die bundesdeutsche Normalität nicht, deshalb stellte er sie fast statuarisch dar oder als Höllen-Szenario aussichtsloser Sexualität. Ausgerechnet ein französischer Autor legt so den Riss in der deutschen Nachkriegs-Geschichte frei: sie zeigte sich als eine zwischen Lähmung und eruptiver Gewalt. Natürlich läuft all dies auf den Komplex 68 hinaus und die nachfolgenden Geschehnisse um die RAF.
Da überrascht es nicht, dass sein drittes Porträt einem weiteren Verzweifelten gilt, der in dieses bleierne Geschehen verstrickt war: Bernward Vesper, Sohn des Nazischriftstellers Will Vesper.
Sein Roman „Die Reise“ gehört noch immer zu den beeindruckendsten Zeugnissen der sich am Faschismus abarbeitenden 68er. Es geht um den misslungenen Vatermord eines Mannes, der auf ewig Sohn bleibt und daran zerbricht. Auf beklemmende Weise korrespondiert die rauschhafte Selbstzerfleischung Vespers mit dem Absolutheitsanspruch der RAF. Bindeglied war hier Gudrun Ensslin, die langjährige Frau Vespers. Viel ist darüber spekuliert worden, warum diese protestantische Idealistin für den Polit-Macho Andreas Baader den selbstquälerischen Intellektuellen Vesper verließ. Lefranc liefert eine Antwort:
„Sie hörte zu, wenn er auf seine Brust einhämmerte, das große Heft in die Höhe hielt, sich anklagte, die anderen dafür anklagte, dass sie sich nicht genug selbst anklagten: Man musste den Menschen das allgemeine Unglück ins Bewusstsein rufen, denn einzig im Zustand vollständiger Zerrissenheit kann der Geist hoffen, zu seiner Wahrheit zu gelangen. Und dann hörte sie nicht mehr zu. Die Gewohnheit fiel wie ein Mantel von ihren Schultern. Schließlich wurde es ihr unbegreiflich, wie sie ohne den entschuldbaren Einfluss von Liebe oder Rausch auch nur einen Moment an seiner Seite hatte verbringen können ?“

Alban Lefranc, zeigt sich in allen drei Porträts als hochreflektierter Erzähler, der die Bilder zertrümmert, um sie mittels Fakten und erfundenen Elementen wieder zusammenzubauen. Das schafft jenen von Walther Benjamin benannten Choc des Eingedenkseins, den die eine heute dominierende Erinnerungskultur uns systematisch vorenthält. „Angriffe“ - so der Titel des Buches – zeigt aus der Distanz eines Nachgeborenen, dass es bei diesem Thema immer noch Entdeckungen zu machen gibt.